Reiseberichte aus dem Sanella-Album Mittel- und Südamerika

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Ja, das war sein ganzer Stolz. Die hatte er sich von weit her mitgebracht, von der Plantage, wo er kurze Zeit als Arbeiter war. Wie wir noch standen und das kleine Raubtier besahen, kam ein komischer 'Vierbeiner mit langem Rüssel, buschigem Schwanz und langen Krallen an den Vordertatzen schnüffelnd um die Ecke. Ein Ameisenbär! Er war ganz zahm. Die Indianerfrauen warfen ihm rohe Fleischstückchen zu. Das schienen Leckerbissen für den Burschen zu sein, der hier als Haustier gehalten wurde, um das viele Ungeziefer, vor allem aber die Termiten zu vertilgen, die alles zerstören, was nicht niet und nagelfest ist. Termitenbär müßte er eigentlich heißen. - Plötzlich brach die Nacht herein. Das geht in den Tropen ganz schnell. Es wurde pechschwarz um uns. Nur vor den Hütten brannten die Herdfeuer.

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Der Jaguarbraten war fertig! Trotz unseres Hungers hatten wir keinen rechten Appetit darauf. Aber schon hielten wir jeder ein kräftiges Stück in der Hand, nahmen unser Messer und begannen zu essen - und es schmeckte! Die Indianer vertilgten schmatzend gewaltige Mengen Fleisch. 

Die tausend Stimmen der Urwaldnacht

Die Herdfeuer glühten noch. Es war tiefe Dunkelheit um uns. Aber ringsum waren Leuchtkäfer, Glühwürmchen und unzählige andere Leuchtinsekten zu sehen. Alles schien lebendig von tanzenden, funkelnden Lichtern. Drüben aus dem Urwald kamen tausend Stimmen. Es raschelte und brummte, scharrte und knackte. Schlichen Jaguare um die Lichtung? Der Schein des niederbrennenden Feuers warf gespenstische Schatten. Schwarz standen die Baumriesen des Urwalds. Drüben im Wald schrie ein Tier auf - sicher saß ihm ein Jaguar im Genick.

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Jaguarjagd und Flußüberquerung

Am nächsten Morgen brachen wir auf. Zwei Indianer gingen als Führer mit. Bald waren wir wieder im tiefsten Urwald. Wir mochten Stunden marschiert sein, als der vorangehende Indianer plötzlich anhielt, Onkel Tom am Arm faßte und nach oben zeigte. Ein Jaguar - oben lag er in einer Astgabel und blickte mit bösen Augen auf uns herab. Onkel Tom und Fernandez rissen die Gewehre von der Schulter. "Nicht schießen, nicht schießen!" baten die Indianer. Wollten sie ihn selbst erledigen? Aber schon krachte ein Schuß. Onkel Tom hatte geschossen, das Raubtier aber nur verwundet. Der Jaguar brüllte auf, rasend vor Schmerz und Wut, und sprang - sprang auf den vorderen Indianer herab. Es ging alles in Sekundenschnelle, weder Onkel Tom noch Fernandez kamen noch einmal zum Schuß. Aber der Indianer stieß der Bestie im Sprung sein langes Messer in die Kehle, ein fürchterliches, gurgelndes Aufbrüllen, der Mann stürzte zu Boden, der Jaguar über ihn -dann rollte der Tierleib zur Seite. Ein letztes Zucken, tot! - Der Indianer hatte nur eine tiefe Kratzwunde am Arm. Das furchtbare Gebiß des Raubtiers hatte ihn nicht mehr erreicht.

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Er war um den Bruchteil einer Sekunde schneller gewesen. Das war ein Meisterstück! Ich hätte keinen Pfifferling mehr für den Mann gegeben. Stolz stand er auf und zog sein Messer aus der Kehle des Raubtiers. Schade, daß wir das Tier nicht mitnehmen konnten! Aber der Weg war zu weit. Vielleicht wollten die Indios auch die Jagdbeute auf dem Rückweg mit ins Heimatdorf nehmen.

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